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Reise-Kolumne: Warum der öffentliche Nahverkehr und ich oft keine Freunde sind

Der öffentliche Nahverkehr und ich, wir werden einfach nicht warm miteinander. Ich habe es oft versucht, mich tolerant gezeigt und manchen Fehler durchgehen lassen, aber egal, was ich tue: Wir haben ein ambivalentes Verhältnis. Wir können nicht mit, aber auch nicht ohne einander. Und das führt zu durchaus angespannten Situationen. 

Als mein Vater 60 wurde, wollte ich ihn überraschen und stieg gegen 14 Uhr in München in einen Zug, mit dem ich am frühen Abend pünktlich zu seinem Geburtstagsessen in Kärnten eintrudeln sollte. Reguläre Fahrzeit? Knapp fünf Stunden. So zumindest die naiv von mir geplante Theorie.

Die Praxis fiel dann leider in die Kategorie „Kyrilling me softly“. Ja, es war ein windiger Tag in München, das gebe ich zu. Und nebenbei hatte ich mitbekommen, dass sich ein Orkan Süddeutschland näherte. Doch wie das halt mit Naturkatastrophen so ist: Sie treffen immer andere. Und Orkane, die niedliche Vornamen wie Cyrill bekommen, nehme ich schon gar nicht ernst. Also wunderte ich mich nicht, als ich im Zug saß – und er nicht losfuhr. Erst, als ein panisch wirkender Schaffner mich aus dem Abteil fuchtelte, wurde mir etwas unbehaglich zumute. Dann erfuhr ich, dass ich umzusteigen hätte. In den letzten Zug, der Richtung Salzburg fahren würde. Der kam wohl aus Italien – aus Sardin(i)en –, denn die gefühlte Hälfte der bayerischen Ureinwohner war drin und wir Fahrgäste spielten Ganzkörper-Tetris, um irgendwie Platz zu finden.

Im Schritttempo ging es gen Osten, draußen stürmte und tobte es und drinnen roch es nach tagelang ungesäubertem Pumakäfig. Wie gut, dass der Zug irgendwann stehenblieb und ich erneut umsteigen durfte. An irgendeinem Bahnhof im geografischen Nirgendwo. So eine Gegend, wo sogar Fuchs und Hase grußlos aneinander vorbeigehen. Nun ja, was soll ich sagen? Irgendwann kam ein Bummelzug, der mich mitnahm. Dass der nur eine Stunde fuhr und mich erneut in der Pampa auf den nächsten warten ließ, erwähne ich nur am Rande. Nur eines: Cyrill hatte sich enorm entwickelt. Der Wind, der Wind, das himmlische Kind? Wohl eher das stürmische Arschloch!

Stunden später kam ich in Freilassing an, ein paar Kilometer vor der österreichischen Grenze. „Der Zugverkehr in ganz Bayern wird eingestellt“, hieß es da. Das ungute Gefühl, das ich bisher hatte, ging jetzt in Panik über. Doch dann hatte ich Glück: Es gab noch einen Zug nach Salzburg! Und weiter ging es in Schneckengeschwindigkeit, für fünf Kilometer brauchten wir eine knappe Stunde, aber wer schaut schon bei einer Naturkatastrophe auf die Uhr? Gegen 21 Uhr erreichte ich Salzburg – sieben Stunden, nachdem ich losgefahren war. Eine Strecke, für die man normal anderthalb Stunden braucht. Aber gut, ich wollte ja nicht so sein, also hastete ich – meinen Groll ignorierend – über den Bahnhof und fand tatsächlich einen Zug, der mich direkt an mein Ziel bringen sollte.

Und siehe da, endlich hatte ich Glück: Ich ergatterte ein Abteil für mich alleine, die Dame des mobilen Bordservices nahm meine freundliche Bitte („Bier her, aber dalli!“), alle 15 Minuten bei mir vorbeizuschauen, sehr ernst, und so fuhr ich ohne Kyrill entspannt gen Kärnten. Kein Lüftchen draußen, die Beine hochgelegt, das Dosenbier in der Hand – es fühlte sich an wie Wellnessurlaub auf Rädern. Bis … – nun ja: Bis der Zug mit quietschenden Bremsen stehen blieb. Der Schaffner, der von meiner langwierigen Reise gehört hatte, stand dann doch ziemlich verlegen vor mir, als ich wissen wollte, was los sei. „Da hat sich einer auf die Schienen gelegt“, murmelte er und machte sich rasch wieder aus dem Staub, da er sich doch ein bisschen vor dem wahnsinnigen Glanz in meinen Augen fürchtete …

Ich kam übrigens gegen 3 Uhr morgens an. Da war die Geburtstagsparty meines Vaters natürlich längst vorbei, denn während ich 13 Stunden „Holiday on Gleis“ erlebt hatte, hatte er 13 Stamperl Ouzo getrunken und seinen Ehrentag in vollen Zügen genossen. So wie ich.


(erstmals erschienen in der Zeitschrift Kärntner Monat, Ausgabe 02/2011)

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