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Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge

Geografie und Glaube, Wasserscheiden und Waldquellen, Menschen und Mauern: Die jahrhundertealten Grenzen im Fichtelgebirge ziehen sich offensichtlich und unsichtbar durch die Region und prägen seit jeher das Land. Die Grenzlinien stehen hier aber nicht für Trennung, sondern für Vielfalt. Keine Region in Franken bewegt mit ihren Grenz-Geschichten so stark wie das Fichtelgebirge – und nirgendwo anders kann man besser Grenzen überwinden und aus Grenzen lernen.


Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge ♥ Lesezeit: 9 Minuten


Schön ist er nicht. Dafür ist er schön still. Kein Laut dringt über das Granitmeer auf dem Gipfel des Schneebergs, nur manchmal durchbricht der kecke Ruf eines Vogels die Ruhe, wenn er über dem Fernmeldeturm kreist. Sein Name ist ebenso sperrig wie sein Anblick: „Fernmeldeturm des Fernmeldesektors E“.

Nein, schön ist er nicht, aber das muss er auch nicht. Der „Fernmeldeturm des Fernmeldesektors E“ hatte einst eine ganz andere Funktion, als zu gefallen. Der Schneeberg ist der höchste Berg Frankens und wurde lange Zeit vor allem militärisch genutzt, war streng bewachte Sperrzone. In den 1930er Jahren kam die Deutsche Luftwaffe, nach dem Zweiten Weltkrieg vereinnahmten die US-Streitkräfte einen Teil des Gipfels, der Rest fiel an die Bundeswehr. Im Kalten Krieg war überhaupt Sperrgebiet. Betreten verboten.

Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge
Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge

Der Schneeberg musste viel sehen und viel erdulden. Menschen genauso wie Mächte. Als 1963 der „Fernmeldeturm des Fernmeldesektors E“ gebaut wurde, wurden die natürlichen Grenzen des Berges ausgeweitet. Wo man auf 1.051 Metern bisher nach Tschechien, zu den Höhenzügen des Frankenwalds, der Oberpfalz und des Erzgebirges blicken konnte, wurde die Reichweite nun verlängert: Vom Turm aus belauschten die Bundeswehr und das US-Militär den Osten. Fortan galt der Schneeberg als „Ohr zum Osten“, im Gegensatz zu seinem kleinen Bruder, dem Nachbargipfel am Ochsenkopf. Dort erhob sich ein Sendeturm vom Bayrischen Rundfunk. Man sendete bewusst mit starker Frequenz, sodass das West-Radio auch die DDR erreichte: als „Ohr zum Westen“.

Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge
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Grenzen im Fichtelgebirge: Schneeberg und Ochsenkopf

1992 verließen die Amerikaner den Schneeberg, im Jahr darauf ging auch die Bundeswehr. Der Schneeberg durfte endlich Pause machen. Heute thront der „Fernmeldeturm des Fernmeldesektors E“ noch immer auf dem Gipfel, ist aber geschlossen. Besucher erklimmen stattdessen das „Backöfele“, einen Granitfelsen mit einem 14 Meter hohen, hölzernen Aussichtsturm. Der Turm stammt aus dem Jahr 1926 und wurde 2018 komplett saniert. Seinen Namen hat er angeblich aus dem 30-jährigen Krieg, als dorthin Geflüchtete in den Höhlen der Felsen ihr Brot buken. 

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Über den Namen des Schneeberges ist man sich indessen nicht einig. Viele vermuten das Naheliegende und dass das lange Schneevorkommen auf dem Gipfel namensgebend war. „Snē“ bedeutete im Mittelhochdeutschen „Schnee“. Eine andere Theorie ist poetischer und braucht nur ein paar Buchstaben mehr: „Snēde“ hieß im im Mittelhochdeutschen „Grenze“ und versteht den Schneeberg als geografische Grenze. Geschichtlich betrachtet könnte das auch passen. Denn bereits im 15. Jahrhundert war der Schneeberg Teil des Verteidigungssystems des Markgrafentums Brandenburg-Kulmbach.

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Heute ist es meist still auf dem Schneeberg. Das liegt an dem sanften Tourismus, der hier gelebt wird. Die Natur nutzen, aber auch schützen, das ist das Motto im Fichtelgebirge, deshalb sucht man vergeblich nach einem Restaurant. Es soll still bleiben. Steht man zwischen Granitbrocken und blickt auf die Weite der Landschaft unter sich, fühlt man sich ein bisschen am Rande der Welt und doch mittendrin. Und versteht, was Ludwig Tieck und Heinrich Wackenroder, die Begründer der deutschen Romantik, meinten, als sie 1793 schrieben: „Die Gegend hatte etwas Einsames, düster Melancholisches“.

Grenzen im Fichtelgebirge: Gipfel und Gebirgszüge

Was man hier sieht und wiederum nicht sieht, sind die unsichtbaren, die stillen Grenzen. Die Berge des Fichtelgebirges grenzen nördlich des Oberpfälzer Waldes an Tschechien und den Frankenwald. Auch von oben betrachtet gibt es eine Grenze, einen Reliefsprung: Zum einen sieht man das hufeisenförmige Gebirgsmassiv des Fichtelgebirges, zum anderen die hiervon umschlossene Hochfläche. Nach Osten, jenseits der heutigen bayerisch-tschechischen Grenze, schließen sich das Egerland und die Gebirgszüge des Elstergebirges an. Der Steinwald, der südliche Ausläufer des Fichtelgebirges, wird historisch dem Herrschaftsgebiet Pfalzbayerns zugeordnet. 

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Als üppig bewaldetes und saftig grünes Mittelgebirge ist das Fichtelgebirge ein Paradies für Wanderer. Mehrere Fernwanderwege erschließen die Hügel und Täler der Region, auch zwei Europäische Fernwanderwege durchqueren das Mittelgebirge: der E6 von Nordwesten nach Südosten, der E3 von der tschechischen Grenze durch den Frankenwald bis nach Frankreich. Hier kann man wandernd Grenzen überschreiten und die Vielfalt der Region – und sprichwörtlich darüber hinaus – zu Fuß erleben.

Grenzen im Fichtelgebirge: Europäische Wasserscheide

Neben Gipfeln begegnet man dann auch viel Wasser im Fichtelgebirge, quasi den flüssigen Grenzen. Die Gewässer haben im Fichtelgebirge eine besondere Bedeutung, Seen und Teiche genauso wie Bäche und Flüsse. Vor allem die Flüsse. In den Hochlagen des Fichtelgebirges entspringen die Flüsse Naab, Main, Eger, Saale und Röslau. Deshalb findet man hier auch die europäische Wasserscheide, in alten Chroniken gerne als Scheitel Germaniens bezeichnet. Denn die Flüsse im Fichtelgebirge fließen nicht nur, sie sind richtungsweisend: Main, Saale und Eger fließen in Richtung Nordsee, die Naab mäandert sich in Richtung Süden bis zur Mündung in die Donau.

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Das Besondere: Im Fichtelgebirge treffen sich die Wasserscheiden von Donau und Elbe, von Elbe und Rhein und von Rhein und Donau an einem Punkt, einem sogenannten Tripelpunkt. Dieser liegt nordöstlich vom Seehaus auf dem Kamm, der von der Platte zum Nusshardt zieht. Wer will, begibt sich auf Quellensuche: Auf einer Wanderung mit Ausgangspunkt in Fichtelberg kann man die Weissmainquelle und die Fichtelnaabquelle erwandern.

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Wer nicht wandern will, setzt sich aufs Fahrrad und überschreitet radelnd Grenzen. Denn die Radwege sind gut erschlossen. Es gibt grenzüberschreitende Themenwege genauso wie beliebte Touren, zum Beispiel den Main-Radweg und den Saale-Radweg. Mit mehr als 1.200 Kilometern an gut ausgeschilderten Radwegen ist die Region zum Radfahren bestens für alle Sport-Niveaus geeignet. Eine ideale Tour für den Anfang führt Grenzinteressierte zur Egerquelle. Von Ruppertsgrün fährt man entlang des Egerweges bis zur Egerquelle: Auf 752 Meter entspringt hier mitten im Wald die Eger. Die heutige Quellfassung wurde von der böhmischen Stadt Eger initiiert und enthält Granitsteine jener zwölf Orte, die 1923 die Quellfassung finanzierten. 

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Grenzen im Fichtelgebirge: Egerland

Das Egerland ist untrennbar verbunden mit dem Fichtelgebirge. Das Gebiet des historischen Egerlandes liegt heute in Tschechien und Bayern. Es grenzt im Norden an Sachsen und im Westen an Bayern. Seine Grenzen sind aber nicht mit den Staats- oder Ländergrenzen identisch. Von Landschaft und Sprache her gehören einige Landstriche im Westen und Norden dazu. Das Egerland war über 900 Jahre lang von Deutschen bewohnt und von deren Kultur, Sitten und Bräuchen geprägt. Nach der Volkszählung im Jahr 1939 lebten im Egerland mehr als 800.000 Bewohner. Doch die Geschichte griff ein: In den Jahren 1945 und 1946 wurde der deutsche Anteil der Egerlander Bevölkerung zum größten Teil aus ihrer angestammten Heimat vertrieben. Zum Vergleich: In einer Volkszählung im Jahr 2011 gaben nur noch 18.658 Menschen die deutsche Nationalität an. 

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Der Eingriff war damals massiv: Viele wurden aus ihren Heimatorten weggeschickt, um woanders zu leben und zu arbeiten. Ziel dieser Maßnahme war es, die Landwirtschaft im tschechischen Inland zu stärken und die übriggebliebenen deutschen Gemeinschaften in den Grenzregionen zu schwächen. Wie groß der Verlust der Heimat und der Verlust des Eigentums einst war, sieht man heute im „Egerland Kulturhaus“ (Fikentscherstraße 24, 95615 Marktredwitz, Eintritt: € 4/Person), einem der schönsten Museen im Fichtelgebirge. Schlendert man hier durch Ausstellungsstücke und Erinnerungen, macht man eine Reise durch die Zeit und kann nachempfinden, wie stark damals eine Kultur verletzt wurde.

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Denn das Egerland und seine Menschen waren einst berühmt für ihre ländliche Kultur mit ihren einmaligen Bauformen, bemalten Möbeln, Musikinstrumenten, Trachten und Handwerkstraditionen wie Reliefintarsien, Zinngießer-Arbeiten, Federvogel-Bilder oder Sprudelstein-Arbeiten. Heute am meisten bekannt sind die Kurorte Karlsbad, Marienbad und Franzensbad und deren Badegäste, die damals wie heute kommen. 

Grenzen im Fichtelgebirge: Dreiländereck

An der Grenze zu Tschechien ist es wieder still. Am äußersten Rande des Fichtelgebirges könnte der Wald nicht grüner sein. Nicht grüner und nicht stiller. Ein schmaler Pfad leitet Besucher unter einem Blätterdach bis zu einem kleinen Grenzstein aus dem Jahr 1844, der bescheiden im Gras steht. Die Zahlen 1/1 stehen darauf, das Symbol für den ersten Grenzstein hier. Im 19. Jahrhundert trafen sich am Dreiländereck im Fichtelgebirge die Staatsgrenzen von Bayern, Böhmen und Sachsen. 

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Bis 1918 verlief dann die Grenze zwischen Österreich-Ungarn und dem Deutschen Reich.  1946 wurde die Stimmung sprichwörtlich eisig: Grenznahe Gebäude wurden abgerissen und so der Eiserne Vorhangs gesichert. Bis 1990 verlief hier die innerdeutsche Grenze zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik, aber auch die Grenze zur Tschechoslowakei. Erst mit der Grenzöffnung im Jahr 1989 war das Dreiländereck für Fußgänger als Grenzübergang passierbar. 

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Heute spürt man die Vergangenheit, wenn man in diesem kleinen, stillen Waldstück steht, vor einem Soldatengrab aus dem Jahr 1945 innehält, die ehemalige Grenzschänke Hofmannsmühle auf tschechischem Gebiet bestaunt und die Schilder liest, die hier stehen, auf Deutsch und auf Tschechisch. Die Bitterkeit von einst löst sich aber auf, sobald man die Schönheit der Natur zulässt und das Gebiet wandernd erkundet. Denn das Dreiländereck ist heute ein Ziel zahlreicher Wanderwege, unter anderem auf dem Kammweg und dem Ostweg.

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Grenzen im Fichtelgebirge: Grenzsteine

Grenzsteine gibt es viele im Fichtelgebirge. Oft stehen sie unscheinbar an abgelegenen Orten, mit Moosflechten überwachsen als Zeichen der Zeit. Seit Jahrzehnten beschäftigt sich der Heimatforscher Rudolf Thiem mit der alten Landesgrenze. Er suchte im Fichtelgebirge nach den alten, durchnummerierten Grenzsteinen und trug diese in eine topografische Karte des Vermessungsamtes ein. Die Grenzsteine stehen bei Waldershof, an der Kösseine, dem Fichtelsee, am Ochsenkopf, im Warmensteinacher Gebiet und bei Poppenberg. Und auch wenn die alte Landesgrenze heute längst keine Rolle mehr spielt, sind die Grenzsteine Zeugen der Geschichte des Fichtelgebirges.

Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge

Ältere politische Grenzen fielen oft mit natürlichen, teilweise schwer überwindbaren Hindernissen zusammen: ein Gebirge, ein Meer, eine Wüste, ein Bergland. Flüsse hingegen nutzte man erst seit etwa 1800 als Staatsgrenzen. Hier dachte man praktisch und pragmatisch: Statt als trennende Hindernisse galten Flüsse als vereinende Handelswege. Und dennoch war es im Fichtelgebirge ein Fluss, der weltweit Geschichte schrieb, weil er eine Grenze zog: der Tannbach in Mödlareuth.

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Grenzen im Fichtelgebirge: Das geteilte Dorf Mödlareuth

Mödlareuth gilt als eines der berühmtesten Dörfer Deutschlands und erzählt die prägendste Grenz-Geschichte des Landes, oder genauer gesagt: zweier Länder. Das Thema Grenzen war hier schon immer gegenwärtig. Bereits im Jahr 1810 wurden entlang des Tannbaches Grenzsteine gesetzt. Die eingemeißelten Initialen „KB“ (Königreich Bayern) auf der westlichen und „FR“ (Fürstentum Reuß) auf der östlichen Seite zeigten schon damals die Zugehörigkeit Mödlareuths zu verschiedenen Landesherren. 

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Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges wurden die Grenzen zwar nicht neu gezogen, die Besitzverhältnisse aber neu geklärt: Der Westteil Mödlareuths kam zum neu gegründeten Freistaat Bayern, der Ostteil zum Land Thüringen. Aber weil die Mödlareuther um ihre geografische Lage wussten, machten ihnen diese Grenzspielchen nicht aus. Für sie war das lediglich Bürokratie. Die Dorfgemeinschaft blieb stets innig. Bis sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges alles schlagartig änderte. Weil die Aufteilung Deutschlands in vier Besatzungszonen entlang der alten Landesgrenzen des Deutschen Reiches verlief, passierte in Mödlareuth Undenkbares: Das Dorf wurde geteilt, die Demarkationslinie verlief nun zwischen Mödlareuth-Ost in der sowjetischen und Mödlareuth-West in der amerikanischen Besatzungszone. 

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Grenzen im Fichtelgebirge: Das geteilte Dorf

Heute ist das „geteilte Dorf“ auf der ganzen Welt bekannt und ein beliebtes Touristenziel. Die Grenzen verlaufen jetzt aber sanft und friedlich; wer Bayer oder Thüringer ist, spielt keine Rolle. Dafür wird im „Deutsch-Deutschen Museum Mödlareuth“ (Mödlareuth 13, Töpen, Eintritt: € 3) jenes großes Stück Geschichte Deutschlands sehr real, wenn man in die unvorstellbar grausame Vergangenheit von einst eintaucht. Ein Stück der Mauer wurde bewusst stehengelassen, bei einer Führung lernt man viel über die Zustände von damals.

Über die wenigen Versuche, die Mauer zu überwinden, die es gab, weil das Bauwerk so komplex und gefährlich konstruiert war, dass das Überleben kaum gegeben war. Über Mödlareuther, die plötzlich getrennt waren und Feinde sein sollten. Geschichten von Grenzsoldaten, die patroullieren, und von Besatzungsmächten, die nur ein paar Meter entfernt voneinander ihr Territorium bewachten. Über 37 Jahre lang war es nicht möglich, die Grenze hier zu überschreiten. Deshalb nannten die Amerikaner Mödlareuth „Little Berlin“. Denn wie in Berlin teilte die Mauer eine Stadt.

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Grenzen im Fichtelgebirge: Das Bayerische Grenzmuseum

Dass Grenzen von früher wie ein abendfüllender Krimi erlebbar sein können, zeigt das „Bayerische Grenzmuseum“ (Egerstraße 53, 95706 Schirnding, Eintritt frei) im Fichtelgebirge. In einem kleinen Häuschen an der deutsch-tschechischen Grenze findet man eine spannende und kuriose Sammlung an Erinnerungsstücken aus jener Zeit, in der hier von Polizei und Zoll Dienst verrichtet wurde.

Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge
Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge

Schirnding spielte schon immer eine große Rolle, wenn es um Grenzlinien ging: Seit Jahrhunderten wird der „Paß von Schirnding“ als Übergang vom böhmischen Becken ins Fichtelgebirge und umgekehrt benutzt, angeblich reiste auch Karl der Große durch. Die Handelsstraße Via Que Procedit de Egire führte hier ebenso vorbei wie die alten Reichs-, Heeres- und Handelsstraßen von Frankfurt am Main über Kulmbach, Gefrees, Weißenstadt und Eger nach Prag. Schon 1527 gab es ein Zollamt an der wichtigen Verbindungsstraße zwischen Böhmen und dem Fichtelgebirge. 1949 wurde ein Grenzzaun mit Straßensperren und Beobachtungstürmen Ost und West errichtet.

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Die Grenze ist heute unsichtbar, die Geschichten hingegen ungemein spannend: Alles dreht sich um Schmugglerverstecke und Schmuggelware. Wolfgang Brauner war früher Zollbeamter und packt gemeinsam mit seinen Kollegen die schrägsten Geschichten aus. Von den verrücktesten Schmuggelversuchen. Von 300 Kilo Heroin, die unter Haselnüssen versteckt waren. Von Crystal Meth in Pringles-Chips-Dosen. Oder vom dem jungen Mann, der dachte, mit einem gefälschten Diplomatenpass einer Autokontrolle zu entgehen – vergeblich. Liebevoll wurden Exponate und Erinnerungstücke gesammelt, die eine große Geschichte voll Skurrilität erzählen. Die ältesten Dokumente sind schon über 100 Jahre alt. 

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Grenzen im Fichtelgebirge: Sprachgrenze

Hört man Grenz-Geschichten wie diese, geht es nicht nur um den Inhalt, sondern auch um den Klang. Denn neben den offensichtlichen und den unsichtbaren Grenzen, den leisen und den lauten, gibt es im Fichtelgebirge auch die sprachlichen Grenzen. Quer durch das Fichtelgebirge verläuft von Nordosten nach Südwesten die Dialektgrenze zwischen dem (Ost-)Fränkischen Dialekt im Norden und Westen und dem (nord-)bairischen beziehungsweise Oberpfälzer Dialekt im Osten und Süden. Aber natürlich haben auch viele Menschen, die einst vertrieben wurden und hierherkamen, die sprachliche Landschaft geprägt: Menschen aus Böhmen, Mähren, Schlesien und Ostpreußen genauso wie die Egerländer, die ihre eigene Sprache mitbrachten.

Grenzen der Vielfalt: Die schönsten Grenz-Geschichten aus dem Fichtelgebirge

Deutlich zeichnet sich die seit dem 12. Jahrhundert bestehende Lautgrenze ab. Sie verläuft von Warmensteinach über den Waldstein-Kornberg-Zug. Der Westen und Nordwesten standen immer unter fränkischem Einfluss. In der Gegend um Bayreuth, Münchberg, Schwarzenbach, Hof und Rehau spricht man fränkisch, genauer gesagt ostfränkisch. Da heißt es dann beispielsweise „Mädl“, während man im Nordbairischen „Moidl“ und im Fränkischen „Madle“ zum Hochdeutschen Mädchen sagt. Sprachgrenzen liegen auch manchmal sehr nahe. So spricht man zum Beispiel in Vordorf bei Wunsiedel die bairische Sechsämtermundart und nur zwei Kilometer entfernt in Meierhof den fränkischen Dialekt.

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Eine Sonderstellung nahm immer schon Marktredwitz ein, damals eine Enklave im Sechsämterland, zugehörig zur Stadt Eger. 1816 wurde das „Amt Redwitz“ im Austausch mit dem bis dahin bayrischen Städtchen Vils, das an Oberösterreich kam, der Krone Bayerns einverleibt. Heute findet man Marktredwitz viele Überbleibsel aus dem Egerland, allen voran den Dialekt. Eine kulinarische Grenze gibt es übrigens nicht. Nur eines ist sicher: Ob in Bayern oder Böhmen, es landen immer Knödel auf dem Teller.

Grenzen im Fichtelgebirge: Konfessionsgrenze

Eine Sonderstellung nimmt auch Warmensteinach ein. Hier ist die Grenze, die das Dorf durchzieht, wieder unsichtbar: Früher war der Zusammenfluss von Moosbach und Warmer Steinach der Grenzknotenpunkt zwischen Egergau, Kurpfalz und Burggrafschaft Nürnberg. Dadurch entstand mit der Reformation eine Konfessionsgrenze, die noch heute vorhanden ist: 1978 schlossen sich Warmensteinach und Oberwarmensteinach im Zuge der Gemeindegebietsreform zu einer Gemeinde zusammen. Warmensteinach war die größere der beiden Gemeinden und fast ausschließlich evangelisch, Oberwarmensteinach hingegen überwiegend katholisch. 2017 hatte Warmensteinach laut Statistischem Landesamt 2197 Einwohner. Nur 831 davon waren katholisch. Noch heute erheben sich auf gegenüberliegenden Höhen die beiden Kirchen Warmensteinachs, eine Erinnerung an jene Grenze, damals wie heute. Diese Konfessionsgrenze innerhalb eines Dorfes ist einzigartig in Bayern.

So einzigartig wie alle Grenz-Geschichten im Fichtelgebirge.


Fichtelgebirge erleben & erlesen


Offenlegung

Dieser Artikel entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit der Tourismuszentrale Fichtelgebirge. Meine Meinung ist aber völlig unvoreingenommen und stets meine eigene.

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2 Kommentare

  1. Ein schöner Beitrag. Dankeschön. Falls mal Lust auf Geschichten kommt, hätte ich eine Empfehlung :
    Geschichten aus dem wundersamen Fichtelgebirge
    http://www.fichtelwichtel.com
    Liebe Grüße Kerstin

  2. H.Plagge H.Plagge

    Was für ein interessanter und gut recherchierter Beitrag zur Vergangenheit und Gegenwart des Fichtelgebirges mit Ausblicken auf die gemeinsame europäische Zukunft. Als Thüringer nutzen wir seit vielen Jahren die Möglichkeiten der deutschen Wiedervereinigung , sind oft im herrlichen Fichtelgebirge zu Fuß und mit dem Auto. unterwegs. Besonders fällt die Freundlichkeit der Menschen , (beginnend mit der ersten Begrüßung in der Stadt Hof 1991) auf.

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