Einst zündeten die Sylter Frauen Feuer am Strand an, um ihren Männern sicheres Geleit zu geben, wenn diese zum Start der Walfangsaison in See stachen. Heute ist die Biike das wichtigste Fest des Jahres auf den nordfriesischen Inseln und wird auf Sylt stimmungsvoll zelebriert. Es geht um Gemeinschaft, Geschichte und Geschmack – und eine ordentliche Portion „Grünkohl mit alles“.
Biike auf Sylt: Wenn die Inselfeuer brennen und der Grünkohl dampft ♥ Lesezeit: 7 Minuten
„Heute sind wir alle Friesen“, sagt Claas-Erik Johannsen und hebt sein Schnapsglas. „Ich verstehe uns als große Familie!“ Der Hausherr vom „Benen-Diken-Hof“ in Keitum steht auf einer kleinen Leiter und begrüßt seine Gäste, Einheimische genauso wie Touristen. Jedes Jahr am 21. Februar ist er in seinem Element, wenn er den Biikeabend auf seinem historischen Hof einläutet. Familie, Freunde und Gäste kommen zusammen, trinken einen Korn oder einen Kümmelschnaps und ziehen dann gemeinsam los, um den heimlichen Nationalfeiertag der Friesen zu feiern.
Biike auf Sylt: Gemeinschaft & Geschichte
Das nordfriesische Wort „Biike“ stammt vom hochdeutschen Wort „Bake“ und bedeutet so viel wie Zeichen, Seezeichen oder Feuermal. Gefeiert wird am 21. Februar, dem Vorabend des Petritages. Das war ein wichtiger Tag für die mittelalterliche Schifffahrt, schließlich spielte der Walfang einst eine große Rolle. Vom 17. bis zum 19. Jahrhundert ging fast die gesamte männliche Bevölkerung der nordfriesischen Inseln und Halligen auf Walfang. Am Petritag startete die Walfangsaison. Das ging auf einen Beschluss der Hansestädte aus dem Jahr 1403 zurück. Demnach sollte die Schifffahrt zwischen Martini am 11. November und dem Petritag am 22. Februar ruhen. In Nordfriesland sind deshalb noch heute Biike und Petritag wichtige Feiertage, vor allem auf den nordfriesischen Inseln und den Halligen.
„Das Biikebrennen ist nicht alleine zu verstehen“, erklärt Claas-Erik Johannsen. „Biike und Petritrag sind eng miteinander verwoben!“ Es ging ums Abschiednehmen, auf allen Ebenen. „Seefahrer haben ein mündliches Testament gemacht. Was ist, wenn ich nicht wiederkomme? Diese Frage haben sich alle gestellt“, so Claas-Erik Johannsen. Früher hatte der Petritag eine weitere Funktion. Oft verhandelte man Streitigkeiten, bevor die Männer in See stachen und es keine Möglichkeit mehr gab, Frieden zu stiften. Heute findet am Petritag der sogenannte Petritanz statt, der oft in den Gemeindezentren organisiert wird. Schulkinder auf Sylt und Föhr haben schulfrei, Eltern und Großeltern stecken den Kindern den sogenannten „Petri-Taler“ zu.
Biike auf Sylt: Immateriellen Kulturerbe der UNESCO
Über die Entstehung des Biikebrennens gibt es mehrere Varianten. Es heißt, dass das Feuer seinen Ursprung in heidnischer Zeit hat. Im Mittelalter sollte es böse Geister vertreiben und die neue Saat schützen. Später entstand die Tradition der brennenden Feuer entlang des Strandes, um den Walfängern sicheres Geleit zu geben, wenn diese in See stachen. Einer Sylter Legende nach brannten diese aber auch, weil die Frauen den dänischen Männern auf dem Festland vermitteln wollten, dass sie nun wieder allein auf dem Hof und durchaus offen für ihren Besuch waren. Heute werden die Feuer entzündet, um den Winter zu verabschieden und den nahenden Frühling zu begrüßen. 2014 ernannte die UNESCO das Biikebrennen sogar zum immateriellen Kulturerbe.
Die Feuer der Friesen loderten im 17. und 18. Jahrhundert in Form von eher primitiveren Leuchtbaken, oft eine mit Teer und Stroh gefüllte Tonne auf einer Stange. Heute sind die Biikefeuer auf der Insel fast schon kunstvoll geschichtet. Die mächtigen Haufen bestehen aus Ästen, Zweigen und alten Weihnachtsbäumen. Letztere bilden bis heute einen wesentlichen Anteil des Biikematerials. Die Tradition des Biikebrennens stammt zwar nicht von Sylt, es war aber der Keitumer Chronist Henning Rinken, der berichtete, „dass sich vor 1760 alljährlich am 22. Februar in Keitum auf Sylt die Seeleute versammelten, um ihre Abfahrt zu den Walfanghäfen zu besprechen und Heuerverträge für die kommende Fangsaison abzuschließen“.
Biike auf Sylt: Neun Inselfeuer lodern
Kein Wunder, dass auf Sylt das Biikebrennen zelebriert wird. Die Feuer brennen in insgesamt neun (von zwölf) Inselorten: in List, Archsum, Morsum, Keitum, Tinnum, Rantum, Hörnum, Westerland und Kampen/Wenningstedt-Braderup. Auf allen nordfriesischen Inseln und Halligen sind es um die 60. Welche Biike die schönste ist, bleibt unbeantwortet. Fragt man die Sylter, lautet die Antwort stets: „In Tinnum! In Keitum! In Hörnum! …“, denn jede/r nennt den Inselort, aus dem er/sie stammt. Viele Insulaner, die längst auf das Festland ausgewandert sind, kehren in der Biikewoche zurück, um das Feuerfest der Friesen nicht zu verpassen. „Biike ist für uns Sylter wichtiger als Weihnachten und Silvester“, sagt Claas-Erik Johannsen.
Schon in den Tage vor der Biike laufen die Vorbereitungen auf Hochtouren. Überall wird über die Festlichkeiten geplaudert, egal ob Insulaner oder Tourist. Denn mittlerweile kommen auch viele Urlauber auf die Insel, um die Biike auf Sylt zu erleben. Ab dem späten Nachmittag ändert sich die Stimmung: Zum steten Westwind gesellt sich eine Prise Aufregung. In den Inselorten werden Gummistiefel und Friesennerz bereitgelegt. Zunächst versammeln sich die Menschen an einem Treffpunkt im jeweiligen Inseldorf. Die Stimmung ist jetzt schon prächtig. Das ist auch dem Glühwein, Punsch oder Schnaps geschuldet, der vielerorts fließt. Schließlich muss man sich warmhalten, der Abend wird lange und vermutlich stürmisch. Hunderte Menschen setzen sich dann langsam in Bewegung und gehen im Gänsemarsch in Richtung Biikeplatz. Es wird geklönt, gelacht, gerufen und gesungen. Ist die Feuerstelle erreicht, findet das Fest der Friesen seinen Höhepunkt.
Biike auf Sylt: Feuer und Flamme
Jetzt wird es erst ganz still, ehe eine Rede gehalten wird, meist von Bürgermeistern, Pastoren oder verdienten Einwohner Sylts, auf friesisch und auf deutsch. Gebannt hören alle zu, gebannt warten alle auf jene vier friesischen Worte, die den Startschuss für das Feuer geben: „Tjen di Biiki ön!“ – „Zündet die Biike an!“ Dann fliegen alle Fackeln nach und nach auf den Haufen und die Feuer erleuchten die Insel im hellsten Schein. Anschließend stimmen alle die Sylter Hymne „Üüs Söl’ring Lön“ („Unser Sylter Land“) an und singen – mal mehr und mal weniger textsicher – begleitet vom Spielmannszug lautstark mit. Spätestens jetzt ist klar: Die Biike auf Sylt ist nicht nur ein Fest des Feuers. Vor allem ist es ein Fest der Gemeinschaft, voller Liebe und Verbundenheit mit der Heimat.
„Ein großes Feuer ist etwas Wärmendes, etwas Verbindendes, aber natürlich auch etwas Gefährliches, vor allem auf einer Insel. Das ist etwas, das nur in Gemeinschaft gelöscht werden kann. Kommt Gefahr, halten wir zusammen“, sagt Claas-Erik Johannsen. Nach einer Weile stürzt an einigen Orten der „Pidder“ in die Gluten. Diese über dem Feuer thronende Strohpuppe gilt als Symbol für den Winter und wird in einigen Gemeinden in den Biikefeuern verbrannt. Vielerorts ist es aber auch ein Holzfass, das inmitten der Biike auf einem Pfahl thront. Sobald es in die Flammen fällt, steht fest: Jetzt ist der Winter vertrieben!
Biike auf Sylt: „Grünkohl mit alles“
Nach dem Feuer folgt der Festschmaus. Denn eine Biike ist nur komplett mit einer ordentlichen Portion „Grünkohl mit alles“. Das norddeutsche Gericht wird mit Kochwurst, Schweinebacke, Kassler und süßen Kartoffeln in fast jedem Restaurant der Insel aufgetischt. Viele Familien bereiten das traditionelle Grünkohlessen auch zu Hause zu. Auch hier geht es um Zusammengehörigkeit, die Verbundenheit mit der Heimatinsel und einen ehrlichen Einblick in die Lebensweise und Kultur der Nordfriesen.
Claas-Erik Johannsen lädt Familie, Freunde und Gäste nach dem Biikebrennen zum Grünkohlessen im „Benen-Diken-Hof“ ein. Das passt gut, denn der Hof in Keitum ist beinahe so traditionell wie das Feuerfest der Friesen. Familie Johannsen und der Hof sind auf ganz Sylt bekannt. Kein Wunder: Die Geschichte des „Benen-Diken-Hof“ begann bereits im Jahr 1841, als sich ein Kapitän Petersen in den Wiesen südlich des Dorfes Keitum ein prächtiges Kapitänshaus errichtete. 1949 kaufte die Familie Johannsen das Anwesen, auf dem sich zu dieser Zeit ein Bauernhof befand. Im Laufe der Jahrzehnte entstand der „Benen-Diken-Hof“ – als Hotel Garni mit 18 Zimmern. Mit ihrer Hofanlage betrieben die Johannsens eines der ersten Hotels in Keitum. Heute gibt es 50 Zimmer, Suiten, Hotel-Apartments und Studios, die sich auf zehn reetgedeckte Häuser verteilen.
Biike auf Sylt: „Sünhair!“
Beim Grünkohlessen wechselt Claas-Erik Johannsen im Minutentakt den Platz. Mit jedem einzelnen Gast hält er einen Schnack. Er ist zufrieden mit dem Abend, wie eigentlich jedes Jahr. „Es sind sicher um die 500 Leute durch Keitum gezogen“, sagt er. „Für ein Dorf mit 800 Einwohnern nicht schlecht.“ Überall auf den Tischen landen große Platten, auf denen der Grünkohl dampft. Aber warum isst man den eigentlich? Grünkohl war einst die Hauptnahrung der Sylter im Winter und gilt noch heute als sehr gesund. „Der kocht schon seit drei Tagen“, sagt Claas-Erik Johannsen schmunzelnd. Es heißt, dass es die Fleischberge zum Grünkohl gibt, damit man hinterher einen Schnaps trinken darf. Am Biikeabend wird „gekümmelt“, was das Zeug hält. „Sünhair!“ rufen dann alle, das heißt „Gesundheit“ auf Söl’ring.
Lesenswerte Links:
Sylt Marketing: Biikebrennen auf Sylt
Gesellschaft für Schleswig-Holsteinische Geschichte: Biike
Liedtext: „Tjen di Biiki ön!“ („Zündet die Biike an!“)
UNESCO: Immaterielles Kulturerbe Biikebrennen
Schleswig-Holsteinischer Zeitungsverlag: Liveblog aus Sylt von der Biike 2024
♥ Offenlegung
Dieser Artikel entstand in Kooperation mit Sylt Marketing. Meine Meinung ist aber völlig unvoreingenommen und stets meine eigene.
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