Wo im Norden Deutschlands die Ostsee in sanften Wellen auf Usedom trifft, scheint die Sonne im Durchschnitt 1.906 Stunden pro Jahr. Schon im 19. Jahrhundert kamen Reiche, Schöne und Künstler zur Sommerfrische, noch heute steuern viele Urlauber die zweitgrößte Insel Deutschlands an. Doch nur dann, wenn an der Ostseeküste auflandige Stürme brausen, landet Bernstein an den Stränden. Das Gold der Ostsee wird auf Usedom oft angeschwemmt – vor allem in den Bernsteinbädern Zempin, Koserow, Loddin und Ückeritz.
Bernsteinbäder Usedom: Wo die Ostsee schäumt und der Bernstein schwimmt ♥ Lesezeit: 7 Minuten
Maria Schweidler trennten nur Sekunden vor einem grausamen Tod auf dem Scheiterhaufen. Dabei war das Urteil wie so oft in früheren Zeiten ungerechtfertigt. Die junge Pfarrerstochter aus Koserow fand zur Zeit des 30-jährigen Krieges am Streckelsberg eine Bernsteinader. Weil die Armut damals groß war, nutzte sie den Erlös, um den Usedomern zu helfen. Doch der unerklärliche Reichtum fiel auf – und weckte Neid und Misstrauen. Als Maria Schweidler dann noch das Werben eines Verehrers verschmähte, bezichtigte dieser sie der Hexerei. Dass sie nicht verbrannte, verdankt sie Graf Rüdiger von Nienkerken, der sie in letzter Sekunde vor dem Scheiterhaufen rettete.
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte der Bernsteinhexe
Die Legende der „Bernsteinhexe“ erzählt man sich auf der Insel Usedom seither immer wieder mal gerne. 1843 wurde die Geschichte zudem vom Koserower Pfarrer Wilhelm Meinhold niedergeschrieben. Neben Maria Schweidler spielen allerdings noch zwei andere die Hauptrollen in jener Geschichte: Bernstein und der Streckelsberg. Denn um den 58 Meter hohen Berg über Koserow ranken sich noch viele andere Sagen und Mythen – zum Beispiel jene der versunkenen Stadt Vineta, über die heute noch viele Historiker rätseln. Wo genau in der Ostsee versank die reiche Stadt mit ihren hochmütigen Bewohnern?
Die Geschichte ist schnell erzählt: Der Legende nach ging Vineta bei einem Sturmhochwasser unter – weil die Bewohner so verschwenderisch und hochmütig waren. Dabei wurden sie gewarnt: Drei Monate, drei Wochen und drei Tage vor dem Untergang erschien ein Abbild der Stadt über dem Meer. Die Ältesten ahnten Böses, doch die Bewohner hörten weder auf sie, noch auf eine Wasserfrau, die wenig später erschien und rief: „Vineta, Vineta, du rieke Stadt, Vineta sall unnergahn, wieldeß se het väl Böses dahn“ („Vineta, Vineta, du reiche Stadt, Vineta soll untergehen, weil sie viel Böses getan hat.“).
Das Ende war abzusehen: Vineta verschwand unter den Wellen der Ostsee und ist heute noch eine Legende, vor allem auf Usedom. Denn lange hielt man daran fest, dass genau dort, wo sich der Streckelsberg über Koserow erhebt, Vineta versunken ist. Heute weiß man zwar dank Ausgrabungen aus den 1930er-Jahren, dass die versunkene Stadt wohl eher bei Wollin, der Schwesterinsel Usedoms, zu finden ist, doch das ändert nichts daran, dass man unter dem raschelnden Blätterdach am Streckelsberg einen Hauch Magie spürt, wenn man auf die Weite der Ostsee unter sich blickt.
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte des Streckelsberges
Vielleicht liegt das aber auch daran, dass diese Stelle eine der exponiertesten auf der Insel Usedom ist. Der Berg ist ein Überbleibsel der letzten Eiszeit und gehört zu jenen Inselkernen, die sich als lang gestreckte Endmoränen entlang der Außenküste hinziehen. Seit der Entstehung hat sich aber viel verändert: Noch im Mittelalter lag die Küstenlinie vor dem Streckelsberg hunderte Meter weiter in der Ostsee und war auch viel höher. Forschungen Anfang des 20. Jahrhunderts haben sogar ergeben, dass dieser Moränengürtel früher die Inseln Usedom, Rügen und Wollin miteinander verband.
Wer heute auf den Streckelsberg spaziert, wandern quasi über den Bernsteinbädern auf Usedom. Anders als in den berühmten Kaiserbädern Ahlbeck, Heringsdorf und Bansin ist das Leben hier viel ursprünglicher. Das ist der Tatsache geschuldet, dass die vier Bernsteinbäder Zempin, Koserow, Loddin und Ückeritz aus kleinen Fischerdörfern entstanden sind, deren Charme von einst noch heute die Region prägt. Auch die Lage macht die Bernsteinbäder zu etwas Besonderem: Gelegen an der schmalsten Stelle Usedoms eint alle vier Orte die Mischung aus salzig und süß: Die Wege von der salzigen Ostsee zum süßen Achterwasser sind kurz und bündeln zwei Naturschauspiele auf kleinstem Ort.
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte der Bernsteinbäder
Keine Frage: Die Kaiserbäder sind sicher die bekannteste Seite Usedoms. Mondän schmiegen sie sich an die Ostseeküste, betören mit ihren historischen Seebrücken, bezaubern mit hübschen Uferpromenaden, an denen man die opulente Bäderarchitektur der Insel bestaunen kann und immer ein bisschen Flair von einst spürt. Seit dem Wilhelminischen Zeitalter sind die Kaiserbäder Alhbeck, Heringsdorf und Bansin ein beliebtes Ziel für die deutsche Sommerfrische, und seit jeher ist hier der typische Charme der deutschen Ostseeheilbäder zu spüren. Die Bernsteinbäder weiter im Norden der Insel haben indes ein anderes Gesicht. Weniger bekannt, weniger besucht.
Die Schönheit offenbart sich hier nicht an den Hotels und ihren Besuchern, sondern in der Diversität der Landschaft. Umgeben von Buchen- und Kiefernwälder, Feldern, Wiesen und Heide liegen die Bernsteinbäder zwischen Ostsee und Achterwasser und sorgen mit ihren langen, feinsandigen Stränden und der üppigen Steilküste für eine besonders beeindruckende Landschaft. Benannt sind sie nach dem Bernstein, den man hier an den Stränden der kleinen Seebäder Zempin, Koserow, Loddin und Ückeritz häufig finden kann.
Dabei galten die Fischerdörfer von einst als besonders arm; Koserow wurde sogar als „das ärmste Dorf auf der Landenge“ bezeichnet. Erst im 19. Jahrhundert änderte sich das Image, als auch hier der Tourismus langsam ankam. Das Achterwasser muss heute noch oft hinter der Ostsee zurückstecken, dabei macht gerade diese wilde Landschaft diesen Teil der Insel so besonders: Rund 15 Kilometer lang und bis zu zehn Kilometer breit ist die Wasserfläche, die von der Insel Usedom und dem Festland fast komplett umschlossen ist. Im Achterland, dem sogenannten Hinterland von Usedom, findet man die ehrlichste Seite der Insel. Denn hier ist der Alltag tatsächlich an manchen Stellen vom Tourismus nicht berührt.
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte der Salzhütten
Wie das Leben einst ausgesehen kann, spürt man beispielsweise in den Koserower Salzhütten, die ein schönes Stück Inselgeschichte erzählen. Weil Armut und Hunger auf der Insel groß waren, war Fisch lange Zeit ein Grundnahrungsmittel. Vor allem der Heringsfang bestimmte den Speiseplan. Da man damals aber keine Möglichkeiten hatte, die Fischmengen zu kühlen, musste man ihn anders haltbar machen.
So kam es, dass um das Jahr 1820 auf Geheiß der königlichen Regierung erste Lehmhütten errichtet wurden, die zur Lagerung von steuerfreiem Salz verwendet wurden. Damals nannte man die kleinen Häuschen Heringspackhütten, heute sind sie bekannt als Koserower Salzhütten. Zwar wurden die ursprünglichen Hütten von Sturmfluten zerstört, aber um 1900 wiederaufgebaut. Heute stehen die Koserower Salzhütten unter Denkmalschutz und beherbergen Fischräucherei und Restaurant. Ein prima Stopp also, um Inselgeschichte sprichwörtlich zu schmecken.
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte des Bernsteins
Es sind dann auch nur ein paar Meter, die es braucht, um direkt an den Wellen der Ostsee zu stehen und den Blick neugierig auf den Boden zu richten. Hier, wo sich an der Spülsaumkante das ansammelt, was das Meer anschwemmt, versteckt sich oft Bernstein, besonders nach Stürmen. Seit jeher übt Bernstein eine große Faszination auf Menschen aus. Schon vor 10.000 Jahren stellte man Schmuck aus dem fossilen Harz her, handelte damit oder nutzte die ihm zugesprochene magische und heilende Wirkung. Die spannendste Seite von Bernstein ist aber seine Geschichte: Die ältesten Bernsteine der Welt sind 400 Millionen Jahre alt! An der Ostsee auf Usedom wird baltischer Bernstein angeschwemmt, der in etwa 40 bis 50 Millionen Jahre alt ist und sich aus dem Harz subtropischer Nadelwälder gebildet hat. Steht man dann an einem der Strände der Usedomer Bernsteinbäder und hält ein Stück Bernstein in den Händen, hat man also ein kleines Stück großer Geschichte gefunden.
Wer auf Bernsteinsuche gehen möchte, hat im Herbst und Winter die besten Chancen. Zur Hauptsaison in den Sommermonaten ist das Wasser zu warm. Denn nur, wenn das Meerwasser kalt ist und eine große Dichte hat, treibt es Bernstein nach oben. Der ideale Zeitpunkt ist nach Stürmen mit auflandigen Winden, und das am frühen Morgen. Denn der echte Bernsteinsucher zieht dann los, wenn alle anderen schlafen, und leuchtet mit einer Taschenlampe auf den Spülsaum, wo zwischen Muscheln, Treibholz und Seegras Bernstein liegen kann.
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte des Bernsteinjägers
Einer, der genau weiß, wann, wie und wo er Bernstein auf Usedom finden kann, und sein Leben dem „Gold der Ostsee“ verschrieben hat, ist Thomas Reich. Schon als Kind entdeckte er seine Faszination für Bernstein. Heute bezeichnet er sich als Bernsteinjäger und folgt stetig dem Ruf der Ostsee: „Mit jeder Welle kann Bernstein kommen“, sagt er überzeugt. Seine Leidenschaft teilt Thomas Reich in seinem „Bernsteinreich“, wo er regelmäßig Bernsteinschleifkurse veranstaltet; auch Bernsteinwanderungen bietet er immer wieder an. „Ich möchte Einheimischen und Gästen dieses wunderbare und einmalige Naturprodukt, das bei der Bearbeitung auch noch so gut riecht und vielfarbig ist, nahebringen.“ In seinem Atelier in Zinnowitz arbeitet er mit seinen Funden, von denen er noch so viele hat, „dass es für Jahre reicht“. Er schleift, er bearbeitet, er verwandelt Bernstein – und kreiert so Unikate, die man bei ihm auch kaufen kann. Thomas Reich ist überzeugt: „Jeder Stein hat seine eigene Geschichte!“
Bernsteinbäder Usedom: Die Geschichte des Zweiten Weltkrieges
Die Geschichte des Bernsteins hat auf Usedom aber noch eine andere Seite; eine, die von den dunklen Jahren auf der Insel erzählt, als während des Zweiten Weltkriegs Bomben abgeworfen wurden und vor der Ostseeküste Usedoms im Wasser landeten. Vor allem der Angriff der Royal Air Force in der Nacht vom 17. auf den 18. August 1943 war ein schwerer Schlag. Das Ziel war Peenemünde, wo mit der Heeresversuchsanstalt eines der größten Geheimprojekte der Nationalsozialisten geschaffen wurde. Seit 1936 arbeiteten hier Wissenschaftler unter der Leitung des Raketenpioniers Wernher von Braun an der militärischen Entwicklung von Raketen. Bei dem Angriff, der als „Operation Hydra“ in die Geschichte einging, wurden insgesamt ca. 1.400 Sprengbomben, 36.000 Brandbomben sowie etwa 4.100 Phosphorbomben abgeworfen. Viele verfehlten ihr Ziel und landeten im Wasser – und so rosten heute noch Bomben und Munition im Salzwasser vor sich hin. Was das mit Bernstein zu tun hat? Dass man Phosphor tatsächlich mit Bernstein verwechseln kann.
Bernsteinsammler auf Usedom sollten daher mit Vorsicht und Verstand auf die Suche gehen. Denn es wird gefährlich, wenn man Phosphor mit Bernstein verwechselt. Getrockneter Phosphor kann sich nämlich entzünden und schwere Brandwunden verursachen. Irremachen darf man sich deshalb aber noch lange nicht. Viele Medienberichte seien überspitzt dargestellt, ist sich Bernsteinjäger Thomas Reich sicher. Dennoch rät er zu gewissen Sicherheitsmaßnahmen. „Der gute Bernsteinsammler geht mit einem mit nassem Sand gefüllten Metallgefäß los“, sagt er. „Wir löffeln unseren Fund dann mit unserem Metallgefäß heraus und riechen daran. Ist es Bernstein, riecht es nach nichts, denn Bernstein ist geruchsneutral. Phosphor stinkt indes abartig.“ Sein wichtigster Tipp lässt sich besonders einfach beherzigen: „Was ich nicht kenne, lasse ich liegen.“
Reisevideo: Auf den Spuren des Bernsteins
Interview mit dem Bernsteinjäger Thomas Reich
9 Tipps: Usedomer Bernsteinbäder & Umgebung
1. Mit dem Fahrrad die Insel kennenlernen
Die schönste Art, die Bernsteinbäder auf Usedom zu erkunden, ist auf dem Fahrrad. Über die ganze Insel führen tolle Touren, man kann sich überall ein Leihrad von UsedomRad schnappen und easy von einem Bad ins nächste cruisen. Wer lieber mit der Bahn fährt, kann das mit der Usedomer Bäderbahn machen – oder beides miteinander kombinieren, denn es ist erlaubt, sein Fahrrad in der Bahn zu transportieren (Fahrrad-Ticket nicht vergessen!).
2. Usedoms berühmtesten Künstler besuchen
An der Rieck, einer Bucht an der schmalsten Stelle der Insel zwischen Zempin und Koserow, findet man das Atelier des Usedomer Malers Otto Niemeyer-Holstein. Hier kann man sich mit den Werken des 1984 verstorbenen Künstlers auseinandersetzen und Wohnhaus und Garten besichtigen.
3. Die schönste Aussicht Usedoms genießen
Den schönsten Weitblick über Usedom und die Ostsee hat man vom Streckelsberg. Verschiedene Wege führen auf den 58 Meter hohen „Berg“, der zwar nicht hoch ist, aber einen umwerfenden Blick auf die Steilküste hier bietet.
4. Am Kölpinsee relaxen
Rund um das Seebad Loddin liegen Wälder, Wiesen – und ein malerischer See. Von der Ostseeküste geht man gerade mal ein paar Minuten, bis man den kleinen Kölpinsee erreicht, an dessen Ufer man super spazieren kann. Achtung: Hier gibt es unzählige Gelsen!
5. Geheime Aussichten finden
Das Loddiner Höft ist eine kleine Halbinsel am Achterwasser, die ein prima Ziel für einen Ausflug sind. Der Blick auf die Umgebung ist ein Traum und reicht bis zum Lieper Winkel, zur Halbinsel Gnitz und sogar zum Festland von Deutschland.
6. Wassersport auf dem Achterwasser betreiben
Im Gegensatz zu den anderen drei Bernsteinbädern liegt Ückeritz fast überwiegend am Achterwasser. Das ist perfekt für Wassersport-Anfänger, die sich mal im Segeln, Surfen oder Kitesurfen ausprobieren wollen. Ein perfekter Treffpunkt ist das „Café Knatter”, wo es eine Surfschule und ein hippes Café gibt.
7. Den coolsten Sunset-Spot der Insel finden
Nicht weit von Ückeritz entfernt liegt an der Badestelle Pudagla am Achterwasser einer der schönsten Spots, um den Sonnenuntergang zu sehen. Denn auf Usedom gilt: Die Sonne geht über der Ostsee auf und über dem Achterwasser unter. Wer will, kann hier sogar grillen!
8. Durch den Usedomer Gesteinsgarten streifen
Wer sich schon für Bernstein interessiert, wird auch in Neu Pudagla voll auf seine Kosten kommen. Hier kann man in die geologische Vergangenheit der Insel eintauchen: Der Usedomer Gesteinsgarten ist eine Freiluftausstellung von Findlingen; es gibt insgesamt rund 140 Exponate zu bestaunen.
9. Action im Wald erleben
Ganz in der Nähe liegt zwischen Ückeritz und Neu Pudagla der Kletterwald Usedom. Mitten im Wald gibt es hier sechs verschiedene Parcours mit unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden, die sich teilweise in bis zu 14 Metern Höhe befinden!
Offenlegung
Dieser Artikel entstand im Rahmen einer bezahlten Kooperation mit Usedom Tourismus. Meine Meinung ist aber völlig unvoreingenommen und stets meine eigene.
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Bald werde ich mal wieder auf die Suche gehen. Allerdings habe ich immer mehr Berichte darüber gehört, dass eine Lampe mit Schwarzlicht doch ungesund für die eigenen Augen sein soll. Ob da was Großes dran ist?